Neue Wege in der Jugend- und Familienhilfe

Die Soziale Arbeit, die Schule und die Justiz leisten einen grossen Einsatz zum Wohl von Kindern, Jugendlichen und Familien. Wie die Kooperation der Institutionen und Fachkräfte wirkungsvoll gestaltet werden kann, poppt als Thema immer wieder auf. Die Gemeinden Ittigen, Münchenbuchsee und Muri erproben einen interessanten Weg.

Zur Biographie von Kindern und Jugendlichen gehört neben anderem ein institutioneller Werdegang. Vom Embryo bis ins selbständige Erwachsenenalter steht Heranwachsenden und ihren Erziehungsberechtigten ein Netzwerk von Fachkräften zur Verfügung, das sie fördert und ausbildet, bei gesundheitlichen Problemen Diagnosen stellt und versorgt oder bei Gefährdung schützt, berät und über Rechte informiert.

Besonders wenn Kinder geschützt werden müssen oder sie selbst delinquent wurden, kommt eine weitere Dimension hinzu: Familien werden unfreiwillig von Institutionen vorgeladen, was die Familien möglicherweise als eingreifend und konfrontativ empfinden. Für Fachkräfte ist es in diesen Fällen besonders herausfordernd, Bildung, Information und Unterstützung koordiniert zu gestalten. Die vor Abschluss stehende Studie MehrNetzWert der BFH und der Universität Essen benennt hierfür vier Stufen des Kooperierens in der institutionellen Arbeit am Kindeswohl:

  • die zufällige, einmalige Kooperation zweier Fachkräfte;
  • die eingespielte Kooperation zweier oder mehrerer Fachkräfte ohne institutionelle Verankerung;
  • institutionelle Kooperationsformate und Verfahren, die von mehreren Institutionen getragen werden – z.B. regulierte Prozesse zur Gefährdungsabklärung oder ein runder Tisch;
  • die auf einen Versorgungsraum bezogene Strukturierung der institutionellen Kooperation, in welcher die wesentlichen Akteure gemeinsam das Versorgungssetting aufgrund fachlicher und versorgungspolitischer Satzungen gestalten.

Neuausrichtung der Jugend- und Familienhilfe im Sozialraum Bern Ost

Eine auf einen Versorgungsraum bezogene Strukturierung der institutionellen Kooperation streben die Gemeinden Ittigen, Muri und Münchenbuchsee an. Seit Herbst 2017 stehen mit dem Projekt «Flexible Jugend- und Familienhilfe im Sozialraum Bern Ost» eine stärkere Bedarfsorientierung und eine besser koordinierte Leistungserbringung im Vordergrund. Das Entwicklungsvorhaben orientiert sich fachlich am Konzept der Sozialraumorientierung und ist auf vier Hauptziele ausgerichtet:

  • Auf den Einbezug von Ressourcen der Klientel und deren Angehörigen,
  • auf die Orientierung am Zukunftsentwurf der Klientel,
  • auf massgeschneiderte, flexible Leistungen für das Klientel sowie
  • auf die systematische Kooperation der am Fall beteiligten Institutionen.

Die Neuorientierung beinhaltet eine gezielt gestaltete Kooperation mit der Institution SORA für Familien. Sein früheres, stark stationär ausgerichtetes Angebot baute SORA in ein Spektrum von ambulanten und stationären Hilfen um, die flexibel den Bedarf der Kinder und Familien abdecken. Die BFH evaluiert die Umsetzung der Neuorientierung. Die Fallverläufe der Kinder- und Jugendhilfe vor und nach der Neuorientierung werden vergleichend untersucht. Die Einschätzungen von Fach- und Führungskräften sowie der Klientel werden in Befragungen eruiert. Aus dem Zwischenbericht der Evaluation liegen erste Ergebnisse vor.

Etablierung einer neuen Arbeits- und Kooperationskultur

Die Neuausrichtung der Jugend- und Familienhilfe im Osten Berns brachte einen deutlichen Kulturwandel in der Art und Weise, wie Hilfe erbracht und die Klientel adressiert wird. Das Sozialraumteam bildet neu den «Dreh- und Angelpunkt». Entlang eines vorgegebenen Ablaufs und definierter Rollen der beteiligten Fachkräfte der Sozialdienste, der SORA und bspw. der Schulsozialarbeit findet eine formalisierte Fallbesprechung statt, die der Entwicklung massgeschneiderter Hilfen dient. Als entscheidende Bedingung zum Erfolg nennen die Befragten die Häufigkeit und Regelmässigkeit der Sitzungen sowie die Konstanz in der personellen Zusammensetzung. Ausserdem erachten die interviewten Fachkräfte die Fokussierung auf den Willen der Kinder und Familienmitglieder als besonders bedeutungsvoll.

Die Flexibilisierung der Hilfen ist in Gang gekommen

Bereits in der ersten Projektphase wurden 80 Prozent der Fälle durch die fallführenden Sozialarbeitenden zur gemeinsamen Beurteilung in das Sozialraumteam eingegeben. Ebenso etablierte sich die Praxis, dass sich der primäre, sozialräumliche Leistungserbringer SORA konsequent an der Entwicklung der Hilfesettings beteiligte. Zudem zeigt sich ein deutlicher Rückgang des Anteils an Platzierungen in stationären Einrichtungen und Pflegefamilien, was einem Kernanliegen der Neuorientierung entspricht. Während bisher annähernd in jedem dritten Fall eine Platzierung in eine Institution ausgewiesen wird, tritt dies in den aktuellen Verläufen nur noch in jedem sechsten Fall auf. Auf der anderen Seite ist im Bereich des Coachings von Familien eine entsprechende Zunahme zu verzeichnen.

Die Gesundheit, Förderung und Bildung sowie die Rechte und der Schutz von Kindern und Jugendlichen bilden ein elementares gesellschaftliches Anliegen. Ein erster Blick auf die Entwicklungen in der Kinder- und Familienhilfe in Ittigen, Münchenbuchsee und Muri zeigt: Eine verbindliche, umfassende Strukturierung der institutionellen Kooperation im Versorgungsraum ist ein Entwicklungsansatz, der zu vielversprechenden Ergebnissen führt.

Eine ausführliche Fassung dieses Artikels mit Stellungnahmen aus der Praxis finden Sie in der neuesten impuls-Ausgabe.


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