Viele Ansätze, die den Erfolg sozialer Dienstleistungen messen wollen, fokussieren auf die intendierten Wirkungen. Das Soziale der Leistungen wird damit jedoch ungenügend erfasst. Die Berner Fachhochschule erarbeitete nun ein Modell, das die soziale Qualität in ihrer Breite abbildet.
Was verstehen Sie unter Qualität? Gute Arbeit, zufriedene Kundinnen und Kunden oder netten Service? Meistens hängt die Antwort vom Produkt, von persönlichen Bedürfnissen und Überzeugungen ab. Wir vergleichen Preise und versuchen die Qualität des zu erwartenden Ergebnisses abzuschätzen. Schwieriger wird es, wenn wir die Qualität einer Dienstleistung erst Jahre nach deren Inanspruchnahme abschliessend beurteilen können. Gerade bei Dienstleistungen, die von der öffentlichen Hand finanziert werden, können kaum sämtliche mittel- und langfristigen Wirkungen und Nebenwirkungen vorausgesagt werden.
Während im Gesundheitswesen seit zwei Jahrzehnten um eine tragfähige Definition von Qualität und Qualitätsmessung gerungen wird, fehlt eine ähnliche Debatte im Sozialwesen. In einzelnen Arbeitsfeldern und Kantonen werden zwar Qualitätsnormen oder Richtlinien angewendet, doch beschränken sich diese mehrheitlich auf Struktur- und Prozessqualität. Gerade in Zeiten des Spardrucks müssen soziale Leistungen jedoch dringend erfasst und ausgewiesen werden können. Der damit verbundene Aufwand ist das einzige Mittel, um die Leistungen des Sozialstaates sichtbar und verhandelbar zu machen. Qualität ist dann weniger zufällig, sondern eine durch soziale Dienstleistungen hervorgebrachte Errungenschaft des gesellschaftlichen Lebens.
Die Theorie Sozialer Qualität
Vor diesem Hintergrund machte sich ein BFH-Forschungsteam auf die Suche nach einem theoretisch begründeten Massstab für soziale Leistungsqualität und daraus ableitbaren Kriterien. Das von Beck et al. entwickelte Modell sozialer Qualität erwies sich als sehr fruchtbar, weil es nicht nur das soziale Leben in der gesamten Breite abbildet, sondern auch bisher inkonsistent verwendete Begriffe vereint und lebensweltliche sowie ressourcenfokussierte Faktoren des gelingenden Lebens miteinbezieht. Damit erlaubt es den Blick sowohl auf die erwünschten Wirkungen, als auch die Nichtwirkungen und nichtintendierten Nebenfolgen sozialer Dienstleistungen.
Was ist soziale Qualität? Klickbare Infografik zu den Dimensionen und Kriterien sozialer Dienstleistungsqualität.
Folgt man der von Beck et al. entwickelten Theorie, konstituiert sich das Soziale und seine Qualität entlang zweier Achsen. Die erste erstreckt sich zwischen formellen Systemen und informellen Gemeinschaften, die zweite zwischen gesellschaftlicher und biografischer Entwicklung. Die vier Felder, die durch diese Achsen entstehen, markieren die grundlegenden Bedingungen für die Entfaltung sozialer Beziehungen und gesellschaftlicher Prozesse:
- Sozioökonomische Sicherheit als Mass für materielle und andere Ressourcen von Menschen;
- Sozialer Zusammenhalt, der festhält, wie soziale Beziehungen, Normen und Werte geteilt werden;
- Soziale Inklusion, die beschreibt, inwieweit der Zugang zu Institutionen und Strukturen gewährleistet ist;
- Soziales Empowerment als Mass, wie sich die Handlungskapazitäten von Menschen durch soziale Beziehungen verbessern.
Dabei wurden 25 Kriterien sozialer Qualität entwickelt, die sich über die vier Dimensionen verteilen – davon werden 16 in der klickbaren Infografik dargestellt. Der Wert der neuen Theorie Sozialer Qualität besteht darin, dass sie nicht nur die Breite des sozialen Lebens beleuchtet, sondern die grundlegenden Spannungen dieses Lebens ausdrücklich benennt. Ein Übermass an sozialer Inklusion beispielsweise kann auf die einzelnen Handlungskapazitäten einschränkend wirken. Ebenso kann eine zu starke Betonung sozioökonomischer Sicherheit den sozialen Zusammenhalt gefährden. Der Grundstein für eine ganzheitliche und systematische Erfassung sozialer Qualität in der Praxis sozialer Dienstleistungen ist somit gelegt.
Kontakt:
- René Rüegg, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Department Soziale Arbeit
- Diana Romano, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut Alter
- Christoph Gehrlach, Dozent, Departement Soziale Arbeit
Artikel und Berichte:
- Rüegg René, Romano Diana, Gehrlach Christoph (2019), Social Quality Indicators, Veröffentlichung vorgesehen, weitere Informationen auf Anfrage
Literatur und weiterführende Links:
- Beck, W., van der Maesen, L. & Walker, A. (Hrsg.). (1997). The Social Quality of Europe. The Hague: Kluwer International.
- Gehrlach, Ch. (2018): Ein innovatives Qualitätsmanagement-System für die Arbeitsintegration, knoten & maschen
- Haller, D. (2011). Wirkungsforschung zur Entwicklung der Professionalität, Identität und Legitimation Sozialer Arbeit. In N. Eppler, I. Miethe & A. Schneider (Hrsg.), Qualitative und quantitative Wirkungsforschung. Ansätze, Beispiele, Perspektiven (Buchreihe Theorie, Forschung und Praxis der sozialen Arbeit, Band 2, S. 235–254). Opladen: Verlag Barbara Budrich.
- Kehl, K., Then, V., Rauscher, O. & Schober, C. (2018). Wirkung und Wirkungsmessung von Innovationen in Organisationen des Sozialwesens. In J. Eurich, M. Glatz-Schmallegger & A. Parpan-Blaser (Hrsg.), Gestaltung von Innovationen in Organisationen des Sozialwesens (S. 275–296). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
- Schneider, A. (2011). Professionelle Wirkung zwischen Standardisierung und Fallverstehen: Zum Stand der Wirkungsforschung. In N. Eppler, I. Miethe & A. Schneider (Hrsg.), Qualitative und quantitative Wirkungsforschung. Ansätze, Beispiele, Perspektiven (Buchreihe Theorie, Forschung und Praxis der sozialen Arbeit, Band 2, S. 13–32). Opladen: Verlag Barbara Budrich.
- van der Maesen, L. & Walker, A. (2015). Indicators of Social Quality. Outcomes of the European Scientific Network. In K. Lin & P. Herrmann (Hrsg.), Social Quality Theory. A new perspective on social development (S. 39–50). New York: Berghahn.
0 Kommentare