Tagesschulen, kurz und bündig erklärt

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Kinder spielen auf dem Schulhof

Foto: istock.com/Ridofranz

Tagesschulen, Tagesstrukturen, Ganztagsschulen… In der föderalistischen Schweiz einen Überblick über die unterschiedlichen Betreuungsmodelle zu gewinnen, ist nicht leicht. Eine Übersicht über die konzeptionellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten bietet Orientierung und legt Potentiale für den weiteren Angebotsausbau offen.

In den letzten Jahren wurde in der Schweiz das Angebot an schulergänzender Betreuung kontinuierlich ausgebaut, je nach Kanton mit unterschiedlichen Namen und Konzepten. Im Kanton Bern hat sich die Bezeichnung Tagesschulen etabliert und die Nachfrage nach Betreuungsplätzen steigt stetig an. Zudem startete nach den Sommerferien 2018 in der Stadt Bern die erste Ganztagesschule. In der Stadt Zürich werden seit 2016 schrittweise und flächendeckend Tagesschulen eingeführt. Im Kanton Luzern befinden sich sozialraumorientierte Schulen im Ausbau und ein schweizweites Projekt widmet sich dem Aufbau schulzentrierter Bildungslandschaften. Und der Kanton Basel-Stadt feierte im Schuljahr 2017/18 bereits das zehnjährige Bestehen ihrer Tagesstrukturen. Einen Überblick über diese Angebote und ihre Konzepte zu gewinnen, ist nicht leicht.

Schwierigkeit einer scharfen Definition

In ihrer Erhebung des bestehenden Angebots definierte die Eidgenössische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren Tagesschulen sehr breit als «Schulen mit ganztägigen Betreuungsangeboten (inklusive Mittagsverpflegung) an mehreren Tagen pro Woche». Diese offene Definition umfasst unterschiedliche Modelle und Strukturen: vom einzelnen Angebot für einige Schülerinnen und Schüler bis hin zur verbindlichen Mittagsbetreuung für die ganze Schule. Zudem erlaubt sie die Erfassung von Angeboten, die gemeindeübergreifend und unabhängig von der Schule stattfinden, wie sie beispielsweise im Kanton Genf angeboten werden.

In der Fachliteratur werden die Kriterien «modulare» und «gebundene» Tagesschule verwendet, wobei diese Trennung ebenfalls unscharf bleibt. In Basel-Stadt sind beispielsweise vier Module gebunden und in der Stadt Zürich sind in der Primarschule drei bis vier Mittage gebunden, die Freizeitangebote können jedoch modular besucht werden. Trotz der unscharfen Definitionen von Tagesschulen enthalten alle unterschiedlichen Konzepte explizit oder implizit drei gemeinsame Ziele:

  1. Ein umfassendes Bildungsverständnis und die Verzahnung von Unterricht und Freizeit im Schulkontext.
  2. Die Förderung von Persönlichkeitsbildung und Bildungsgerechtigkeit.
  3. Die Unterstützung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Im Unterschied zu Regelschulen, bieten Tagesschulen im Allgemeinen vor und nach dem Unterricht Betreuungsangebote mit unterschiedlichen Formaten und Freizeitaktivitäten an, die in etwa folgendermassen aufgebaut sind.

7.00-8.00 Frühstück (fakultativ)
8.00-12.00 Unterricht
12.00-13.30 Mittagessen
Freies Spiel (teilweise Kurse oder Hausaufgaben)
13.30-15.30 Unterricht
16.00-18.00 Freies Spiel, Kurse oder Hausaufgaben (fakultativ)

Drei Modelle in fünf Aspekten

Um die konzeptionelle Fokussierung der einzelnen Modelle darzustellen, werden im Folgenden das Tagesschulmodell im Kanton Bern, die Tagesstrukturen in Basel-Stadt und die Tagesschulen der Stadt Zürich vorgestellt, indem fünf Aspekte hervorgehoben werden.

In allen drei Tagesschulmodellen stehen Betreuungsangebote und Freizeitaktivitäten mit unterschiedlichen Verbindlichkeiten zur Verfügung (1.). Aus pädagogischer Perspektive sind die Kontinuität der Gruppenzusammensetzung und klare Bezugspersonen für das Wohlbefinden und die Entwicklung der Kinder sowie für die Bildung von Peergroups hoch relevant. Dies belegen auch erste Studien in Basel und Zürich. Eine besondere Herausforderung stellen hier Angebote in den Schulferien dar.

Alle drei Modelle zeichnen sich durch ein pädagogisches Konzept (2.) aus, das sowohl Unterricht als auch Betreuung und Freizeit umfasst. Allerdings sind die beiden Bereiche in den Modellen unterschiedlich verzahnt und enthalten Entwicklungspotential, da Themen aus dem Unterricht in der Freizeit weiter vertieft werden könnten und umgekehrt.

Raumknappheit (3.) ist in den meisten Tagesschulen eine grosse Herausforderung. In der Stadt Zürich und Basel-Stadt werden die Unterrichtsräume teilweise multifunktional eingesetzt.

In allen drei Modellen ist die interprofessionelle Zusammenarbeit (4.) zwischen Lehrpersonen und Fachpersonen Tagesschule/Betreuung zentral und findet in informellen Austauschgesprächen und institutionalisierten Sitzungsgefässen statt. In der Stadt Zürich sind zudem jeder Klasse eine Klassenlehrperson und eine Fachperson Tagesschule/Betreuung zugeordnet, die regelmässig zusammenarbeiten, indem die Fachperson beispielsweise einmal in der Woche am Klassenrat teilnimmt.

Neben der Schulleitung gibt es bei allen drei Modellen eine eigene Leitung Tagesschule (5.). Die Intensität der Zusammenarbeit hängt neben dem Konzept vor allem von der Initiative der Schulleitung ab. In der Stadt Zürich steht die Schulleitung personell über der Leitung Tagesschule/Betreuung, was zu einer engen Zusammenarbeit führt. Teilweise teilen sie sich dasselbe Büro.

BERN
TAGESSCHULEN
BASEL-STADT
TAGESSTRUKTUREN
STADT ZÜRICH
TAGESSCHULEN
1. Verbindlichkeit der Angebote
– Keine verbindliche, sondern frei wählbare Angebote. – Mindestens vier Angebotsmodule pro Woche (z.B. Mittagessen, Nachmittagsbetreuung). – Drei bis vier verbindliche Mittage pro Woche in der Primarschule. Abmeldung pro Schuljahr möglich.
2. Pädagogisches Konzept
– Vorhanden, umfasst auch Ferienangebote. – Vorhanden. – Vorhanden.
– Einheitliche Unterrichtszeiten pro Tag und Schulstufe unterstützen dessen Umsetzung.
3. Räumlichkeiten
– Im Schulhaus.
– Unterrichtsräume geschlossen.
– Mehrheitlich im Schulhaus.
– Einzelne Unterrichtsräume geöffnet.
– Mehrheitlich im Schulhaus.
– Einzelne Unterrichtsräume geöffnet.
4. Interprofessionelle Zusammenarbeit
– Informell
– Kaum Sitzungsgefässe.
– Informell und einzelne Sitzungsgefässe. – Informell und institutionalisierte Sitzungsgefässe.
– Feste Betreuungs- und Klassenlehrperson pro Klasse.
– Gegenseitige Unterstützung von Lehr- und Betreuungspersonen.
5. Leitungsfunktionen
– Getrennte Leitungen von Schule und Tagesschule (unterschiedliche Modelle). – Getrennte Leitungen von Schule und Tagesstruktur. – Schulleitung mit personeller Verantwortung über die Leitung Betreuung.
– Oft gemeinsames Büro.

Unterschiede für die weitere Entwicklung erkennen

Der hier aufgeführte Überblick schärft das Verständnis des nicht-unterrichtlichen Betreuungsangebots in der Schweiz. Aufgrund der föderalistischen Entwicklung und dem Fehlen einer klaren Definition von Tagesschulen ist es umso wichtiger, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Tagesschulmodelle zu kennen.

  • Dies ermöglicht erstens eine Orientierung für zukünftige Implementierungen und Weiterentwicklungen und kann falsche Erwartungen und unbegründete Befürchtungen beseitigen.
  • Zweitens werden durch den Vergleich Potentiale der Betreuungs- und Freizeitangebote sichtbar, die über das primäre Versorgungssystem hinausgehen und freizeitliche Lernsettings und Persönlichkeitsbildung in den Mittelpunkt stellen.
  • Drittens bietet deren Darlegung eine Möglichkeit zum fachlichen Erfahrungsaustausch, indem die Bestandesaufnahmen durch die einzelne Kantone diskutiert und interpretiert werden.

 


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