Wann genug ist, entscheide ich

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Foto: istock.com/marchmeena29

Ein vom Schweizerischen Nationalfonds gefördertes Projekt untersuchte die Entscheidungsfindung und Entscheidungsfreiheit von Menschen, die den Assistierten Suizid als Option für ihr Lebensende betrachten. Dabei legte es auch das Spannungsfeld frei, welches eine pluralistische Gesellschaft im Umgang mit dem Tod aushalten muss.

Immer wieder wird über Fragen des Assistierten Suizids und seiner moralischen Legitimität debattiert. Im Herbst 2020 erzielte der Film «Gott» von Ferdinand von Schirach, der das umstrittene Thema des Bilanzfreitods aufgreift, hohe Einschaltquoten. Zur selben Zeit veröffentlichte der Vatikan einen Brief, der katholischen Kirchenmitgliedern die blosse Mitgliedschaft in einer Sterbehilfeorganisation untersagt.

Dabei geht es um Grundthemen von Freiheit, Selbstbestimmung, Würde und Lebensqualität sowie um die Frage, in welcher Form Personen, die einen Assistierten Suizid planen, sich vor Autoritäten rechtfertigen müssen. Das Gesetz lässt in der Schweiz mehr Raum als die Berufsethik der Medizin. Die einzigen zwei Bedingungen, die es der Suizidhilfe setzt, sind, dass sich eine sterbewillige Person die tödliche Substanz selbst zuführt und dass begleitende Personen keine eigennützigen Motive haben dürfen. Das Gesetz regelt allerdings lediglich die Straffreiheit. Das bedeutet, dass ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben zwar ausgeübt, Hilfe dabei aber nicht eingefordert werden kann.

Da das Sterbemittel Natrium-Pentobarbital nur auf Rezept erhältlich ist, kommt den Ärzt*innen die Rolle als Torwächter zu. Als solche halten sie sich an die Leitlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Diese berufsethischen Normen stecken den Rahmen enger ab als das Gesetz und machen die Feststellung von Urteilsfähigkeit und unerträglichem Leiden zur Voraussetzung. In der öffentlichen Diskussion fordert die liberale Seite einen Abbau von Zugangsbeschränkungen, während auf der anderen, konservativen Seite Bedenken gegen einen gesellschaftlich-ökonomischen Druck erhoben werden.

Jede Beziehung zum Sterben ist persönlich

Im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfond SNF geförderten Projekts wurden nun die Entscheidungsfindungs-Prozesse von Personen untersucht, die einen Assistierten Suizid als Option betrachten. Im Zeitraum von April bis August 2020 wurden 40 narrative Interviews durchgeführt, aufgezeichnet, verschriftlicht und analysiert. Die Interviewten sprachen über ihre persönlichen Überlegungen, Überzeugungen und Wertvorstellungen sowie über ihre positiven wie negativen Erfahrungen mit dem Sterben nahestehender Personen und darüber, welche Schlüsse sie daraus für sich selbst ziehen.

Die in den Interviews geäusserten, differenzierten und individuellen Einstellungen überschnitten sich teilweise, jedoch traten auch Dissonanzen hervor. Es liessen sich aber keine Anhaltspunkte dafür finden, die moralische Legitimität des Wunsches nach der Möglichkeit eines Assistierten Suizids in Frage zu stellen. Besonders zwei Argumente fielen dabei auf. Falls jemand irreversibel und anhaltend entschlossen ist, seinem Leben ein Ende setzen zu wollen, ist er zum einen die bessere Alternative gegenüber einem gewaltsamen Suizid. Zum anderen kommt es vor allem darauf an, die Möglichkeit zu haben, als eine Art Versicherung, nicht alles erleiden zu müssen. Zum unerträglichen Leiden zählt oft – über die Schmerzen hinaus – der Verlust des Selbstbewusstseins, der Selbstbestimmung und des Selbstseins überhaupt. Fast allen war es allerdings ein Anliegen, gleichzeitig zu betonen, dass ihre Werteinschätzung nur für sie selbst gelte und sie ihre persönliche Ablehnung z.B. von Intensivpflege oder von einem Leben mit Demenz keinesfalls verallgemeinern möchten.

Das Spannungsfeld einer pluralistischen Gesellschaft

Ein gewachsenes Wertesystem, das auf Selbstbestimmung, Selbstverantwortung, Autonomie, Aktivität, ökonomischem Wohlstand und Erfolg beruht, begünstigt wahrscheinlich die Entscheidung, ein Leben zu beenden, in welchem man Abhängigkeit annehmen muss. Dieser Wertehorizont wurde von der Mehrheit der Interviewten jedoch positiv und affirmativ als eigener Standpunkt vertreten und wurde nicht als fremdbestimmt erfahren. Die von ihnen beschriebene, eigene Rolle ist daher überwiegend die des Gestaltens und nicht des Erduldens.

Das dargestellte Panorama an Erfahrungen und Reflexionen führt insgesamt zum Schluss, dass eine pluralistische Gesellschaft die Spannung zwischen dem bedingten Verzicht auf Weiterleben auf der einen Seite und der Hinnahme des Schicksals auf der anderen Seite aushalten muss. Weder machen es sich die einen zu leicht und versäumen eine wesentliche Auseinandersetzung mit ihrer Endlichkeit, noch verlieren die anderen ihre Würde. In der gesamten differenzierten Feinstruktur der Argumente zeigt sich, dass zu einem passenden Leben offensichtlich auch ein passendes Sterben gehört.

 


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