Zwischen gesellschaftlichem Auftrag und Wettbewerb

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Foto: istock.com/bortonia

Organisationen des Sozialbereichs sehen sich heutzutage mit ständigen Veränderungen konfrontiert: Politik und Wirtschaft werden unberechenbarer, Finanzierungen unsicherer und der technologische Wandel bietet neben Chancen auch Risiken. Vor dem 7. Internationalen INAS-Fachkongress in Bern stellte sich der Kongressverantwortliche Roger Pfiffner den drängendsten Fragen.

Roger Pfiffner, Sie beschäftigen sich seit längerem mit der Entwicklung Sozialer Dienste und der Zukunft des Sozialstaats. Welche Herausforderungen sehen Sie derzeit für Organisationen im Sozialbereich?

Prof. Roger Pfiffner: Soziale Dienste und Einrichtungen im Sozialbereich werden mehrheitlich durch öffentliche Mittel und Sozialversicherungen finanziert. Ihre Handlungsmöglichkeiten und Rahmenbedingungen werden daher in hohem Masse durch die Politik bestimmt. Aufgrund der knappen Finanzen vieler Kantone und Gemeinden sowie des zunehmenden Wettbewerbs im öffentlichen Beschaffungswesen müssen diese Organisationen heute mit gleichen oder sogar weniger Ressourcen mehr Leistungen erbringen. Dies verstärkt den Leistungsdruck und führt zu einer höheren Arbeitsbelastung bei den Beschäftigten.

Zur Erhöhung ihrer Wirksamkeit sind Soziale Dienste und Einrichtungen zudem gefordert, ihr Leistungsangebot stärker an den persönlichen Voraussetzungen und individuellen Bedürfnissen der Klientinnen und Klienten auszurichten. Um hier erfolgreich zu sein, braucht es Flexibilität und Innovationsbereitschaft. Auch die Rekrutierung qualifizierter Fachkräfte ist in dem Zusammenhang wichtig. In Bereichen mit sich verschärfendem Fachkräftemangel kann dies aber sehr anspruchsvoll sein.

Roger Pfiffner

Prof. Roger Pfiffner forscht an der BFH u.a. zu Management und Organisationsentwicklung in Sozialen Diensten und leitet den 7. INAS-Fachkongress in Bern

Als gewichtiger gesellschaftlicher Treiber ist die Digitalisierung derzeit in aller Munde. Inwiefern beeinflusst sie die Soziale Arbeit?

Die Digitalisierung und die damit einhergehende Automatisierung verändern den Arbeitsmarkt nachhaltig – ausserhalb wie innerhalb des Sozialwesens. Studien zeigen, dass gesamthaft betrachtet keine massiven Beschäftigungsverluste zu erwarten sind. Die Herausforderung der Digitalisierung liegt jedoch in der starken Verschiebung von Arbeitsplätzen zwischen den Wirtschaftssektoren, Branchen und Berufsgruppen. Viele Tätigkeiten von Mittel- und Niedrigqualifizierten werden automatisiert und fallen weg. In Zukunft kommt die Post vielleicht per Drohne, selbstfahrende Fahrzeuge werden wahrscheinlich den öffentlichen Verkehr prägen, Verkäuferinnen und Verkäufer verschwinden schon heute aus den Supermärkten. Dafür entstehen in anderen Bereichen wie den informationsbezogenen Dienstleistungen neue Tätigkeitsfelder, die jedoch höhere Anforderungen an die Beschäftigten stellen.

Im Sozialwesen sind diese Folgen der Digitalisierung vor allem in der Arbeitsintegration sichtbar: Die Betroffenen werden heterogener und die Anforderungen für eine erfolgreiche Integration steigen.

Für die Soziale Arbeit stellt sich zudem die Frage, inwiefern bislang persönlich erbrachte Dienstleistungen in Zukunft durch technikgestützte Kommunikation niederschwelliger und effizienter erbracht werden können. Bis zu welchem Grad eine solche Umstellung sinnvoll ist, wird derzeit kontrovers diskutiert.

Sie haben bereits die vermehrte Leistungsorientierung und den stärkeren Wettbewerb im Sozialbereich erwähnt. Inwiefern stellen marktwirtschaftliche Prinzipien eine Herausforderung für die Soziale Arbeit dar?

Eine Schwierigkeit für die Leistungserbringenden ist, dass der Spardruck und die finanziellen Unsicherheiten zunehmen. Besonders Investitionen, die sich erst langfristig auszahlen, sind unter solchen Bedingungen schwierig zu tätigen.

Selbst für bestehende innovative Angebote findet sich heute häufig keine nachhaltige Finanzierung, obwohl ein klarer Bedarf besteht. Die bestehenden Finanzierungsstrukturen wirken insofern eher strukturerhaltend, als dass sie die Verbreitung sozialer Innovationen begünstigen.

Zudem stellen zunehmend geforderte Wirkungsnachweise für die sozialen Dienste und Einrichtungen eine grosse Herausforderung dar. Unter Bedingungen knapper Ressourcen ist es einerseits wichtig, dass sie die erzielte Wirkung ihrer Dienstleistungen nachweisen können und dadurch Vertrauen in die Organisation schaffen. Andererseits ist die Wirkungsmessung im Sozialbereich enorm anspruchsvoll und aufwändig. Vielen Organisationen fehlen die Ressourcen und Kompetenzen für qualitativ hochstehende Wirkungsnachweise. Das schmälert aus der Perspektive zentraler Anspruchsgruppen ihre Legitimität.

Des Weiteren führt das marktwirtschaftliche Prinzip dazu, dass die Anzahl kommerzieller Dienstleister zugenommen hat.

Die Abgrenzung zwischen gemeinnützigen, nicht profit-orientierten Leistungserbringern und kommerziellen Dienstleistern kann heute oftmals nicht mehr trennscharf vorgenommen werden.

Erstere operieren zunehmend unter marktähnlichen Bedingungen und Letztere übernehmen vermehrt Aufgaben, die klar dem Sozialwesen zuzuordnen sind. Das führt zu unterschiedlichen Logiken und Handlungsrationalitäten innerhalb des Sozialbereichs, die sich nicht immer widerspruchsfrei kombinieren lassen. Diese Widersprüche machen sich besonders bei den Mitarbeitenden an der Front bemerkbar – zum Beispiel in Form von Loyalitäts- und Rollenkonflikten bei der Arbeit.

Welche Lösungsansätze gibt es aus Ihrer Sicht, um auf die angesprochenen Herausforderungen zu reagieren?

Aus meiner Sicht ist eine klare Organisationsstrategie, die einen flexiblen Umgang mit Veränderungen ermöglicht, am aussichtsreichsten. Der Kernauftrag der Organisation wird dabei in Zusammenarbeit mit der Klientel und Auftraggeberschaft so weiterentwickelt, dass technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Änderungen angemessen aufgenommen werden können. Damit im Sozialbereich neue bedarfsorientierte Angebote geschaffen werden, braucht es zudem eine stärkere Förderung von Innovationen und nachhaltiger Entwicklungen. Insbesondere die Finanzierungsinstrumente der öffentlichen Hand müssen stärker auf Innovation und Wirksamkeit statt auf unmittelbare Leistungen und Kosten ausgerichtet werden. Auch Möglichkeiten zur Verbreiterung der Finanzierungsbasis sollten offen ausgelotet werden, etwa durch neue Kooperationsformen mit der Privatwirtschaft oder Förderstiftungen.

Damit dies erreicht werden kann, müssen sich die Verantwortlichen sozialer Organisationen aktiv an sozialpolitischen Debatten beteiligen, die Öffentlichkeit von ihrem gesellschaftlichen Auftrag überzeugen und letztlich auch ihre eigenen Interessen effektiv verteidigen.

 

7. INAS-Fachkongress

Zwischen gesellschaftlichem Auftrag und Wettbewerb – Sozialmanagement in einem sich wandelnden Umfeld

12.-14. Februar 2020 in Bern

Die internationale Tagung befasst sich in fünf Keynotes und rund vierzig Fachreferaten mit aktuellen Themen der Sozialwirtschaft und fördert den interdisziplinären Austausch zu Fragen des Sozialmanagements in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mit von der Partie sind u.a.:

  • Franziska Teuscher, Gemeinderätin, Stadt Bern
  • Prof. Dr. Stephan Grohs, Universität Speyer
  • Prof. Dr. Adalbert Evers, Universität Heidelberg
  • Prof. Dr. Emanuela Chiapparini, Berner Fachhochschule
  • Dr. Regula Ruflin, socialdesign ag

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